Am 30. Januar 2020 wurde das Gesetz zur Parlamentsreform in erster Lesung in den Landtag eingebracht. Der Gesetzentwurf ist 70 Seiten lang und beinhaltet zahlreiche Gesetzesänderungen. Geändert werden unter anderem die Landesverfassung, das Abgeordnetengesetz und die Geschäftsordnung des Landtages. Die Parlamentsreform soll in der Landtagssitzung Ende Februar abschließend beraten werden.
Wie ist sie entstanden?
Auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde im November 2018 die sogenannte Parlamentsreformkommission als Kommission des Ältestenrats ins Leben gerufen. Auftrag dieser Kommission war es, das Parlamentsrecht in Sachsen-Anhalt dreißig Jahre nach Gründung des Landes auf seine Reformbedürftigkeit zu überprüfen. In diesem Rahmen wurden die Verfassung des Landes und zahlreiche Gesetze, wie etwa das Abgeordnetengesetz, das Fraktionsgesetz oder die Geschäftsordnung des Landtages kritisch unter die Lupe genommen, um gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen, den politischen Prozess transparenter zu gestalten und die parlamentarischen Debatten zu beleben. Am Ende haben sich die vier Fraktionen auf einen Kompromiss geeinigt.
Wie bewerten wir insgesamt die Parlamentsreform?
Aus unserer Sicht beinhaltet der Gesetzesentwurf zahlreiche sehr positive Aspekte. Das Gesetz ist ein Erfolg für unsere Fraktion. Dennoch gibt es, wie bei jedem Kompromiss, aber auch problematische Teile. Da die positiven Aspekte aber für uns überwiegen, kann das Paket aus unserer Sicht als Ganzes mitgetragen werden.
Was ändern wir in der Landesverfassung?
Die Verfassung wird modernisiert. Damit werden aktuelle gesellschaftliche Debatten und Entwicklungen aufgegriffen. Das beinhaltet:
- Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität sind explizit verboten.
- Klimaschutz, Tierschutz und gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land werden als Staatsziele.
- Die Verpflichtung des Staates und jedes Menschen gegen das Wiederaufkommen nationalsozialistischen Gedankengutes und rassistische sowie antisemitische Aktivitäten vorzugehen.
- Der irreführende und missbräuchlich nutzbare Begriff der „Rasse“ wird aus der Verfassung gestrichen, stattdessen wird die Diskriminierung aus „rassistischen Gründen“ verboten.
Wie wird mehr Transparenz geschaffen?
Mehr Transparenz zu schaffen, ist eines der zentralen Ziele der Reform. Die Ausschüsse des Landtages werden in Zukunft grundsätzlich öffentlich tagen. Bisher war das nur in Ausnahmefällen der Fall.
Die Abgeordneten erhalten auch die Möglichkeit, zu Beginn einer Sitzungsperiode die Landesregierung nach aktuellen Themen zu befragen. Diese Befragung der Landesregierung wird bereits seit Juni 2018 erfolgreich erprobt und wird nun dauerhaft als Mittel der Fraktionen im Gesetz verankert.
Transparenz ist gut. Aber was ist mit der Bürgerbeteiligung?
Die Hürde für ein erfolgreiches Volksbegehren wird gesenkt. Bisher mussten neun Prozent der Wahlberechtigten dafür unterschreiben. In Zukunft müssen es nur noch sieben Prozent sein. Darüber hinaus wurden die Verfahren zur Einleitung einer Volksinitiative oder eines Volksbegehrens vereinfacht und übersichtlicher gestaltet. In Zukunft müssen auch Spenden über 5.000 Euro, die im Zusammenhang mit einer Volksabstimmung stehen, offengelegt werden. Dies verhindert eine intransparente Einflussnahme finanzstarker Interessengruppen.
Ein wichtiges Thema unserer Gesellschaft ist der Kampf gegen die Klimakrise. Was wird konkret dagegen getan?
Klimaschutz wird als Staatsziel in der Landesverfassung verankert. Die Parlamentsreform setzt ihn auch gleich in konkreten Schritten für den Landtag und die Abgeordneten um. Der Landtag macht sich auf den Weg, CO2-neutral zu werden. Zunächst werden die CO2-Emissionen des Landtages kompensiert. In den kommenden Jahren sollen Wege gefunden werden, die Emissionen ganz zu vermeiden.
Außerdem können Abgeordnete in Zukunft Dienstreisen mit dem Fahrrad bei der Landtagsverwaltung abrechnen. Damit soll die Benutzung eines Fahrrades gefördert und umweltfreundliches und ressourcensparendes Verhalten anerkannt werden.
Der Datenschutzbeauftragte wurde 2017 aufgrund fehlender Mehrheit nicht gewählt. Wird seine Wahl jetzt neu geregelt?
Ja. Bisher brauchte es für die Wahl des Datenschutzbeauftragten eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages. Diese Hürde hat sich als zu hoch erwiesen. Dies wurde deutlich, als der von uns vorgeschlagene Kandidat im Jahr 2017 trotz klarer Absprachen innerhalb der Kenia-Koalition nicht gewählt wurde. Der bisherige Amtsinhaber ist seitdem noch immer im Amt, obwohl seine Amtszeit seit über drei Jahren abgelaufen ist.
In Zukunft wird der Datenschutzbeauftragte mit der Mehrheit der Mitglieder des Landtages gewählt. Seine Amtszeit wird nur noch fünf statt sechs Jahren betragen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Landtag einmal pro Legislatur über die Besetzung zu entscheiden hat. Außerdem wird die Stelle ausgeschrieben.
Die gleichen Änderungen gelten zukünftig auch für den oder die Beauftragte*n zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Enquete-Kommissionen können in Zukunft nur von der Mehrheit eingesetzt werden. Warum?
Bisher konnten Enquete-Kommissionen durch eine Mehrheit der Mitglieder des Landtages, aber auch auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder eingesetzt werden. Leider hat sich herausgestellt, dass die AfD-Fraktion ihre Minderheitenrechte missbraucht hat. Enquete-Kommissionen sind dafür da, Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe vorzubereiten und Lösungsvorschläge dem Parlament vorzulegen. Die AfD ist offensichtlich daran nicht interessiert, wie die Einsetzung der Enquete-Kommission „Linksextremismus“ zeigt. Dieser Missbrauch wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Und was ist mit den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen?
In Zukunft kann ein Antrag auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur rechtlichen Prüfung in den Rechtsausschuss überwiesen werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn der Landtag kann nicht verpflichtet werden, einem rechtswidrigen Antrag zuzustimmen. Diese Frage war aber bisher nicht gesetzlich geregelt, sondern ergab sich allein aus der Landesverfassung. Hier wird also lediglich Rechtsklarheit geschaffen. Es beschneidet auf gar keinen Fall die Minderheitsrechte des Parlaments.
Was ändert sich für die Abgeordneten mit besonderer Verantwortung?
Die Funktionszulagen, also eine Art Sonderentschädigung für Abgeordnete mit besonderer Verantwortung, werden rechtssicher geregelt. Eine Funktionszulage wird begrenzt und nur noch für folgende Posten ausgezahlt:
- der oder die Präsident*in: 100 Prozent der Abgeordneten-Diät
- die Vizepräsident*innen: 50 Prozent der Abgeordneten-Diät
- die Fraktionsvorsitzenden: 100 Prozent der Abgeordneten-Diät
- die parlamentarischen Geschäftsführer*innen: 60 Prozent der Abgeordneten-Diät
Die bündnisgrüne Landtagsfraktion übt diese Praxis bereits seit Langem. Bei den anderen Fraktionen war es bisher aber anders. So wurde beispielsweise für Sprecher*in von Arbeitskreisen eine Zulage bezahlt. Dies ist nun nicht mehr möglich.
Was ist mit den Kosten dieser Reform?
Wie jeder politische Kompromiss, beinhaltet dieses Gesetzespaket auch Aspekte, die wir ungern mittragen.
Dies betrifft vor allem die Pensionsregelung für Abgeordnete, die eine besondere parlamentarische Funktion ausüben, also zum Beispiel die oder der Präsident*in des Landtages oder die parlamentarischen Geschäftsführer*innen der Fraktionen.
Diese Personen bekommen neben ihrer normalen Diät als Abgeordnete eine sogenannte Sonderentschädigung oben drauf. Dieser Zusatzbetrag wird zukünftig bei der Berechnung der Pensionsansprüche mitberechnet, was zuvor nicht der Fall war. Wir waren dagegen, konnten uns leider nicht durchsetzen.
Für allen Pensionsansprüche gilt in Zukunft, dass der Anspruch für ein Jahr erworben wird, wenn mehr als ein halbes Jahr im Parlament absolviert wurde. Hier haben wir für eine monatsgenaue Abrechnung gekämpft, leider erfolglos. Alle anderen Fraktionen waren dagegen.
Wie bereits erwähnt, soll der Landtag CO2-neutral werden. Bis dahin sollen die Emissionen kompensiert werden, was Geld kostet.
Es wird auch mehr Geld für Mitarbeiter*innen in den Wahlkreisbüros geben. Bisher orientiert sich deren Gehalt an der Entgeltgruppe 9 Stufe 5 des Tarifvertrages der Länder. Künftig soll sich dieser Betrag an der Entgeltgruppe 10 Stufe 6 orientieren. Wir begrüßen dies sehr, denn die Anforderungen an die Mitarbeiter*innen sind längst gestiegen: Es geht um mehr als nur organisatorische Arbeit. Sie machen umfassende inhaltliche Zuarbeit für die Abgeordneten und übernehmen auch deren Kommunikation. Zudem wird nun mehr Geld für Weiterbildung von Wahlkreisbüro-Mitarbeiter*innen zur Verfügung gestellt.
Es wird aber auch an Kosten gespart, indem der Landtag verkleinert wird. Durch Änderungen im Landeswahlgesetz wurde in der siebten Wahlperiode die Anzahl der Abgeordneten von 91 auf 87 verringert. In der achten Wahlperiode wird die Zahl nochmal auf 83 gesenkt. Dadurch werden in der siebten Wahlperiode insgesamt ungefähr 4,2 Millionen Euro eingespart. Ab 2021 spart das Land etwa 793.000 Euro pro Jahr.
Diese Änderung war ursprünglich Teil der Parlamentsreform, wurde jedoch aus dem Paket herausgelöst und in einem eigenen Gesetz beschlossen. Der Grund dafür ist, dass die Fristen zur Vorbereitung der nächsten Landtagswahl bereits im Dezember 2019 zu laufen begannen.