24.03.2023

GELINGENDER KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL 
BIS 2030

Wir fordern, den Strukturwandel zu beschleunigen, um den Menschen und der Wirtschaft im mitteldeutschen Revier Sicherheit zu geben. Was dafür notwendig ist, haben wir in einem Positionspapier zusammengefasst. 

Der Strukturwandel ist in Sachsen-Anhalt im Gange, doch seine Geschwindigkeit muss zunehmen. Bereits 2016 wurde im Koalitionsvertrag der Keniakoalition in Sachsen-Anhalt verankert, dass mit der Auskohlung des Tagebaus Profen der Kohleabbau hierzulande auslaufen wird. Auch die derzeit regierende Koalition aus CDU, SPD und FDP hat das in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Schätzungen zufolge wird dies spätestens im Jahr 2034 der Fall sein. Die Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert, den Kohleausstieg in dieser Region auf 2030 vorzuziehen. Das Risiko eines ungeplanten früheren Kohleausstiegs aufgrund von rein marktwirtschaftlicher Getriebenheit muss minimiert werden.

Für die unmittelbar Betroffenen des Mitteldeutschen Reviers im Burgenlandkreis und Saalekreis bedeutet es eine große Transformation, die mit vielen Chancen verbunden ist. Dennoch dürfen die Herausforderungen dabei nicht aus den Augen verloren werden. Die Beschäftigten in der Braunkohleindustrie in der früheren DDR und des heutigen Sachsen-Anhalts haben jahrzehntelang die Stromversorgung gesichert. Zur Anerkennung dieser Leistung gehört für uns, neue zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Rentenregelungen und Umschulungen müssen organisiert werden.

Die Veränderungsprozesse müssen den Süden Sachsen-Anhalts im Ergebnis bereichern. Der Strukturwandel kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Dieser lange Transformationsprozess muss transparent, nachvollziehbar und verlässlich gemacht werden. Zentrale Punkte, damit der Strukturwandel gelingt, sind:

·  zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen,

·  Fördergelder vorziehen und in Summe an die Inflation anpassen,

·  Erneuerbare Energien ausbauen,

·  den Schienenverkehr stärken.

Kohleausstieg auf 2030 im mitteldeutschen Revier vorziehen

Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, den Braunkohleausstieg idealerweise auf das Jahr 2030 gesetzlich zu beschleunigen. Statt dagegen anzukämpfen, muss Sachsen-Anhalt das aktiv umsetzen. Bereits heute ist die Geschäftsgrundlage der Kohle-Kommission, dass die Stilllegung aller Kraftwerke nach 2030 entschädigungslos um drei Jahre vorziehbar ist. 

Die Braunkohleverstromung und -förderung wird wahrscheinlich deutlich vor 2034 enden. Sie wird für die Unternehmen, die die Kohlekraftwerke betreiben, nicht mehr wirtschaftlich sein.  In Folge der günstigeren erneuerbaren Energien und der Bepreisung des CO2-Ausstosses wird Braunkohleverstromung preislich vom Markt gedrängt. Als Folge werden betroffenen Unternehmen sie vorzeitig beenden. Der Strukturwandel muss sich daher beschleunigen und früher Ergebnisse vor Ort liefern.

Wer am Zeitplan 2034 (oder gar 2038) festhält, riskiert einen ungesteuerten Ausstieg mit fatalen Folgen. Die Politik würde die Möglichkeit verlieren, den Strukturwandel gezielt zu steuern. Dies ist weder den Wirtschaftsstrukturen noch den Beschäftigten und Menschen vor Ort zuzumuten. Sachsen-Anhalt hat bereits abrupte Umbruchserfahrungen zu verarbeiten gehabt. Eine rechtzeitige Gestaltung des Strukturwandels ist dringend geboten, um unmittelbare Abbrüche zu vermeiden.

Klare Ziele für den Strukturwandel

Der Strukturwandel muss die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ausstiegs aus fossiler Energie mit neuen Wertschöpfungen und Arbeitsplätzen kompensieren.

Der Kohleausstieg soll auch für das mitteldeutsche Revier auf 2030 vorgezogen werden. Nur so erhalten die betroffenen Regionen Sicherheit und Planbarkeit. Die Klimaziele können damit erreicht werden. Ein abrupter, allein marktgesteuerter Kohleausstieg muss unbedingt vermieden werden.

Die Regionen sollen Energie- und Chemiestandort bleiben. Dafür ist eine Transformation hin zu erneuerbaren und recycelten Grundstoffen und erneuerbarer Energie nötig. Was früher die Braunkohle war, wird künftig grüner Wasserstoff sein. Innovation ermöglicht Unabhängigkeit gegenüber bisherigen Zulieferern, Klimaschutz und vor allem neue Absatzmärkte und Gewinne. Wir verbinden damit Tradition mit grüner Zukunftstechnologie. 

Eine Vision für die Regionen entwickeln

Es braucht eine Vision für den Strukturwandel. Sie muss vermitteln, wohin die Reise gehen soll. Ziel ist es, eine vielseitige und auf Klimaneutralität abzielende Wirtschaftsstruktur aufzubauen. Die aktuellen disruptiven Veränderungen der Digitalisierung und Dekarbonisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sind dabei als Chance zu nutzen. Das alte Revier soll sich zu einem vielfältigen Standort wandeln.  Die Chemieindustrie wird zukünftig mit erneuerbaren Energien und erneuerbar hergestellten Grundstoffen versorgt werden. Gleichzeitig wird dort geforscht und neue Technologien entwickelt.  

Dafür muss klar und stringent an diesen Schwerpunkten im Revier angedockt werden. Grüne Zukunftstechnologie muss das Förderziel sein. Untaugliche Vorhaben und Schubladenprojekte, die aufgrund von neuen finanziellen Möglichkeiten schnell rausgeholt werden, sind auszusortieren. Infrastrukturprojekte müssen dem gelingenden Strukturwandel dienen, nicht der Verwirklichung von Altprojekten. Das heißt konkret: keine neuen Straßenbauprojekte, sondern Anbindung der Region per S-Bahn an die Großstädte Leipzig und Jena.

Transparentes Verfahren schaffen

Die Landesregierung betreibt bisher einseitig den Prozess des Strukturwandels. Das bringt viele Nachteile und wird der Bedeutung der Sache nicht gerecht.  Die Bürger*innen vor Ort und der Landtag sind über eine echte Beteiligung besser einzubeziehen. Die demokratische Komponente der Transformation wurde bisher vernachlässigt. Werbe- und Imagekampagnen ersetzen keine konkrete Beteiligung der Bürger*innen. 

Die Auswahl sowohl bereits erfolgter als auch noch anstehender Strukturwandelprojekte muss nachvollziehbarer werden. Projektträger sollen ihre Vorschläge vor der eigentlichen Beschlussfassung der breiten Öffentlichkeit in Workshops oder ähnlichen Formaten vorstellen. Bürger*innen sollen die Möglichkeit bekommen, ihr Anliegen vorzutragen, damit diese berücksichtigt werden können.

Bereits fortgeschrittene Projekte sind davon nicht ausgenommen. Entscheidungen zur Fördermittelvergabe sind offenzulegen. Es muss nachvollziehbar werden, wer welche Entscheidung warum getroffen hat. Bisher herrscht Verwaltungssumpf statt Transparenz.

Der chaotische, spontane und nicht kommunizierte Stopp der Antragsbearbeitung durch die Staatskanzlei im Januar 2023 schadet dem Strukturwandel. Die Ungewissheit dauert bis heute. Verzögerungen und Unsicherheit sind die Folge. Das muss dringend aufgelöst werden.

Finanzierung sicherstellen

Mit dem vorgezogenen Kohleausstieg müssen die finanziellen Mittel zur Unterstützung des Strukturwandels in der Region ebenfalls vorgezogen werden. Der frühere Ausstieg muss belohnt werden. Ebenfalls braucht es einen Kassensturz. Bis heute ist nicht eindeutig klar, wie viel Geld von den geplanten 4,8 Milliarden Euro noch zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass die Inflation, verbunden mit Kostensteigerungen, auch die Projekte des Strukturwandels betrifft.

Es besteht die Gefahr, dass genehmigte beziehungswiese erforderliche Projekte nicht mehr finanziert sind. Die Sicherheit für bereits angeschobene Projekte muss jedoch hergestellt werden. Deswegen sind hinzukommende Kostensteigerungen zu berücksichtigen und im Gesamtbudget einzupreisen. 

Unternehmen verpflichten, die Kosten der Sanierung und Folgeschäden zu tragen

Für die Tagebausanierung und Folgeschäden aus der Braunkohleförderung haben die Bergbauunternehmen gemäß den gesetzlichen Verpflichtungen zur Wiedernutzbarmachung der Flächen finanzielle Vorsorge zu treffen. Dafür soll eine Rücklage in Höhe von 163,7 Millionen Euro gebildet werden. Eine solche Vorsorge ist jedoch nicht sicher vor einer Insolvenz.  Zudem werfen Recherchen und Medienberichte die Frage auf, ob das vorgesehene Geld überhaupt vorhanden und gesichert ist. Die Antworten auf mehrere Kleine Anfragen unseres Abgeordneten Olaf Meister verweigern die öffentliche Auskunft, wie viel Geld tatsächlich zurückgelegt wurde.

Bricht das Kerngeschäft der Braunkohleindustrie frühzeitig aufgrund eines marktbedingten Kohleausstiegs zusammen, wird der Betreiber der Tagebaue seine bergrechtlichen Verpflichtungen zur Wiedernutzbarmachung der Landschaft nicht erfüllen können. Ein Braunkohletagebau, der abrupt zum Stillstand kommt, entzieht sich bisherigen Planungen.

Vorhandene Gelder aus der Vorsorgevereinbarung mit dem Land Sachsen-Anhalt müssen unmittelbar gesichert werden und trotzdem würden enorme Folgekosten und Risiken entstehen. Diese müssten dann mit Steuergeld gedeckt werden. Damit das nicht passiert, müssen Bundes- und Landesregierung die Unternehmen mehr verpflichten.  Es muss rechtssicher gewährleistet sein, dass die Betreiber des Kohletagebaus die Folgekosten in jedem Fall tragen. Die Vorsorge muss insolvenzsicher sein. 

Die MIBRAG muss sich neu orientieren

Das Kerngeschäft der Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) ist, Energie zu vermarkten. Ihr bisheriges Geschäftsmodell wird sich hin zu mehr Nachhaltigkeit verändert müssen. Windkraft und Photovoltaik sind lukrative Geschäftsfelder. Wir unterstützen die bereits im Entstehen befindlichen Vorhaben der MIBRAG. Windräder und Photovoltaik-Anlagen auf ehemaligen Bergbauflächen und auf Tagebauseen müssen Teil der Vision für das Mitteldeutsche Revier von morgen sein.

Das Kraftwerk Schkopau muss auf einen Betrieb mit Gas, der aber Wasserstofffähig (H2-ready) ist, umgerüstet werden. Gleichzeitig muss das Land Kommunen, Stadtwerke, Genossenschaften und Unternehmen massiv beim Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützen.

Umwelt- und Naturschutz in den Fokus nehmen

Die Landschaften des Bergbaus sind schwer geschunden. Mindestens bis in die 2040er Jahre wird die Sanierung der Bergbaufolgelandschaften dauern. Die Rekultivierung solcher Flächen wird Arbeitsplätze sichern. Eine lebenswerte Umwelt muss bei allen Fördermaßnahmen mitgedacht werden. Auch konkrete Naturschutzprojekte müssen angegangen und gefördert werden. Diese Bemühungen werden die Lebensqualität steigern und damit die Anziehungskraft der Region erhöhen.

Priorität auf den Schienenverkehr setzen

Die emissionsfreie Verkehrsinfrastruktur ist ein weiterer Schlüssel für einen erfolgreichen Strukturwandel. Zentraler Punkt dabei ist der Schienenverkehr. Unternehmen müssen Güter auf der Schiene transportieren können. Menschen müssen schnell und einfach ohne eigenes Auto zwischen dem Revier und den nahegelegenen Städten wie Leipzig und Jena reisen können. Der Fokus liegt konkret auf der S-Bahn-Linie Leipzig - Zeitz - Gera. Diese Strecke muss möglichst zweigleisig und durchgängig elektrifiziert an das Bahnnetz angeschlossen werden. Die Landesregierung muss Druck machen, dass genug Geld und Personal vorhanden sein müssen, um die Strecke zu betreiben. Haltepunkte müssen barrierefrei ausgebaut und effizient für den Umstieg zwischen verschiedenen Verkehrsmittel nutzbar werden.

Es ist unnötig und kontraproduktiv, Straßen neu zu bauen. Wir lehnen Umgehungsstraßen, wie um Bad Kösen, ab. Sie ziehen viel Geld von anderen Projekten ab und versiegeln die Landschaft. Der Erhalt bestehender Straßen muss gewährleistet werden.

Kultur und Kunst vor Ort stärken

Kultur und Kunst vor Ort spielen auch eine Rolle für den gelingenden Strukturwandel.  Anknüpfend an vorhandene Traditionen muss Kunst sich kritisch mit den Umbrüchen auseinandersetzen. Kunst muss im Raum sichtbar werden und bleiben. Der Ausbau der Industriekultur, die Schaffung von Museen und soziokulturelle Zentren ermöglichen, entstehende Leerräume sinnvoll und für die breite Gesellschaft zu nutzen. Entsprechende Förder- und Unterstützungsprogramme müssen bedarfsgerecht entwickelt werden. Das schließt freischaffende Künstler*innen ein, die sich mit der Transformation auseinandersetzen und diese aufarbeiten. Diese Auseinandersetzung soll in konkreten Projekten den Transformationsprozess begleiten.

Strukturwandel vernetzen

Der Strukturwandel braucht ein vernetztes Denken und Handeln. Der regionale Weg hin zu einem interkommunalen Zweckverband wird die Region stärken und helfen, positive Sichtweisen zu befördern. Das wird auch die Umsetzung eines länderübergreifenden Entwicklungskonzeptes vorantreiben. Wichtig ist zudem, eine Willkommenskultur vor Ort zu entwickeln. Konzepte, wie die Willkommensagentur des Burgenlandkreises, müssen ausgebaut werden. Nur mit dem Zuzug von Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Europa und darüber hinaus werden die Strukturwandelprojekte auf Dauer tragfähig sein.